Nachrichten
Die Fallzahlen im Kreisjugendamt steigen an – immer mehr Kinder und Familien erhalten erzieherische Hilfen
Kostensteigerungen unvermeidlich - auch durch u3-Ausbau

Rhein-Sieg-Kreis (hei) – Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland benötigen die Hilfe von Jugendämtern. Dieser Trend ist auch im Rhein-Sieg-Kreis seit Jahren erkennbar. „Die Fallzahlen steigen stetig an. Wir haben es hier mit einer Entwicklung zu tun, die uns Sorge bereitet. Die Fallzahlen steigen sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich“, sagte Landrat Frithjof Kühn heute im Siegburger Kreishaus bei einer Pressekonferenz anlässlich eines Bilanzgespräches zum Kreisjugendamt.   




Das Kreisjugendamt ist im Rhein-Sieg-Kreis eines von zwölf Jugendämtern und ist zuständig für rund 150.000 Menschen (davon 33.100 Jugendeinwohner im Alter bis 21 Jahren) in den acht Gemeinden des Kreises, die in einem Verbund zusammen geschlossen sind. Dies sind die Gemeinden Alfter, Swisttal, Wachtberg, Eitorf, Windeck, Much, Neunkirchen-Seelscheid und Ruppichteroth. Die elf Städte im Kreisgebiet unterhalten eigene städtische Jugendämter, weil den Städten mit über 20.000 Einwohnern gesetzlich gestattet ist, selbst Träger der Jugendhilfe zu sein.

Im Zeitraum von 2008 bis 2010 sind in den acht Gemeinden allein 253 Leistungsfälle mehr zu verzeichnen. Waren es in 2008 zwischen Swisttal und Windeck noch insgesamt 959 Fälle, sind es in 2010 schon 1212 Fälle – Tendenz seit Jahren steigend. Besondere Ausreißer in der Betrachtung der Jahre 2008 – 2010 sind rechtsrheinisch Windeck mit einer Steigerung von absolut 103 Fällen was einer 49-prozentigen Steigerung entspricht und linksrheinisch Swisttal mit einem Mehr von 63 Fällen, was einer Steigerung um 79 Prozent entspricht. „Auffällig ist gemeindeübergreifend, dass die Beratungsleistungen im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) stetig anstiegen. Der Fokus gilt hierbei der Aushandlung von Hilfen mit den Familien, einem arbeits- und zeitintensiven Kerngeschäft des ASD. Hier wird der Hilfebedarf von Familien, Kindern und Jugendlichen genau ermittelt und hinterfragt“, erläuterten auch die Expertinnen des Kreisjugendamtes, die Leiterin, Ulla Schrödl, und die Abteilungsleiterin der Zentralen und Eigenen Dienste im Jugendamt, Heike Tüschenbönner. Nicht jede Beratung und jeder Aushandlungsprozess durch den ASD münde in einer Hilfe zur Erziehung. Denn in den vergangenen Jahren wurden einige niedrigschwellige Angebote analog zum festgestellten Bedarf entwickelt. Dennoch sei die Fallzahlensteigerung für ambulante und stationäre Hilfen deutlich erkennbar.

Über die Ursachen liegen für den Kreisjugendamtsbereich keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse vor, aber sie dürften vielschichtig und vornehmlich auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge zurückzuführen sein, führte Jugenddezernent Thomas Wagner bei der Pressekonferenz aus, der auch für den Bereich Schule und Bildung sowie psychologische Beratungsdienste zuständig ist: „Familien sind brüchiger geworden; der Anteil der Alleinerziehenden und Patchworkfamilien wächst und nicht selten ändern sich die familiären Konstellationen im Laufe von Kindheit und Jugend gleich mehrfach. Viele Familien sind isoliert, die Belastungen im Alltag sind gewachsen und die wirtschaftliche Situation ist schwieriger geworden.“ Oder es fehlen die familiären Strukturen, Verunsicherung im Erziehungsverhalten steigt und es bedarf kurz- beziehungsweise mittelfristiger Unterstützung, um die eigenen Ressourcen zu stärken.

Diese Tendenzen sind in allen acht Gemeinden zu beobachten, die Unterschiede werden geringer und die Hilfefälle sind in allen acht Gemeinden ähnlich intensiv. Lediglich in der Anzahl der Fälle gibt es noch Unterschiede zwischen den Gemeinden. Allerdings ist es linksrheinisch gelungen, das Verhältnis von ambulanten zu stationären Leistungen umzuwandeln.

Die Fallzahlensteigerungen, aber auch vor allem die steigende Intensität der Fälle würden nicht spurlos an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kreisjugendamt vorbeigehen. „Die Belastung der Mitarbeiter steigt durch immer mehr Fälle“, erklärte der Landrat, „aber auch die emotionale Belastung nimmt zu, weil die Fälle intensiver werden“. Reichte oft früher eine Hilfemaßnahme in einer Familie, ist es heute nicht selten ein ganzer Strauß an verschiedenen Hilfen, die die Familien stützen und die Kinder schützen müssen, ergänzten Ulla Schrödl und Heike Tüschenbönner für das Kreisjugendamt.

„Wir zollen den Mitarbeitern im Kreisjugendamt großen Respekt und unternehmen verwaltungsseitig alles, um diese wichtige Aufgabe, im Interesse der Kinder und Jugendlichen in unseren acht Gemeinden weiterhin verantwortungsvoll bewerkstelligen zu können“, sagten Landrat Frithjof Kühn und Jugenddezernent Thomas Wagner gemeinsam. So finden zurzeit in allen Bereichen Personalbemessungen im Jugendamt statt. Auch sind zahlreiche innerorganisatorische und personelle Weichenstellungen vorgenommen worden, um die Mitarbeiter stärker zu unterstützen.

Nicht ohne Auswirkung sind die Fallzahlensteigerungen und die damit einhergehenden personellen Verstärkungen auf den Haushalt des Jugendamtes. Denn dessen Umlage steigt in 2011  - so hat es die Verwaltung veranschlagt - von 23,15%-Punkten in 2010 um 3,85%-Punkten auf 27,02%-Punkten in 2011. Für die acht Gemeinden bedeutet das, dass sie insgesamt 34,9 Millionen EURO für das Kreisjugendamt aufbringen müssen – das sind 3,1 Millionen EURO mehr als im vergangenen Jahr.

Die steigende Jugendamtsumlage ist aber auch zu einem nicht unerheblichen Teil auf die gesunkenen Umlagegrundlagen der acht kreisjugendamtsangehörigen Kommunen zurückzuführen. Von der 3,85%igen-Umlagesteigerung sind allein 1,45%-Punkte der schwächeren Steuerkraft der Gemeinden geschuldet. Die steigenden Fallzahlen machen rund 1,74%-Punkte von der Steigerung aus, und 0,66%-Punkte Umlagensteigerung verursacht der intensive Ausbau der Kindertagesstätten für die Betreuung der unter Dreijährigen (u3-Ausbau). Ein Silberstreif am Horizont könnten die zusätzlichen Landesmittel für den u3-Ausbau sein, die das Land gemäß Urteil des Verfassungsgerichtshofs NRW verpflichtet ist, den Kommunen zu zahlen. Dies würde eine Verbesserung des Umlagesatzes von schätzungsweise rund 2%-Punkten mit sich bringen.

„Die angespannte Haushaltssituation der Gemeinden ist uns bekannt und unsere Handlungen stehen im Lichte dieser Erkenntnis und dennoch lassen sich die Kostensteigerungen nicht vermeiden. Zum einen können wir an den steigenden Fallzahlen bei der Hilfe zur Erziehung nichts ändern – da sind wir mit allen Jugendämtern im Bundesgebiet in schlechter Gesellschaft – und zum anderen setzen wir auch auf Wunsch der acht Bürgermeister einen starken Akzent auf den kostenintensiven Ausbau der u3-Plätze“, erläuterte Wagner. Weitere Schwerpunkte der Kreisjugendamtsarbeit seien zahlreiche präventive Maßnahmen wie das Konzept der„Frühen Hilfen“, mit dem das Kreisjugendamt Familien schon zu einem ganz frühen Zeitpunkt des Hilfebedarfes erreichen möchte und die ohne die Hürde einer Antragstellung in Anspruch genommen werden können. Diese Maßnahmen setzen präventiv an. Sie unterstützen früh und niedrigschwellig, um einen entstehenden Hilfebedarf aufzufangen und ihm so zu begegnen, dass nach Möglichkeit kostenträchtige Hilfen verhindert werden können.
Gut funktionierende Netzwerke im Sozialraum und eine Präsenz vor Ort bedeuten mitunter aber auch einen Beitrag zur Fallzahlensteigerung. Denn häufig ist es so, dass Kooperationspartner - wie gewünscht - schon frühzeitig den Austausch suchen und (anonymisierte) Fallberatungen wahrnehmen. Dies führt aber auch dazu, dass das Jugendamt von Hilfebedarfen erfährt, die ansonsten gar nicht an es herangetragen worden wären und daher durchaus zu mehr Hilfen.

Bei allem Finanzdruck stünden die inhaltlich-fachliche Arbeit zur Unterstützung sowie die Hilfe zum Schutz von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund des Handelns. Dies habe bei der Arbeit des Kreisjugendamtes oberste Priorität. „Das geht natürlich nicht zum Nulltarif“, sagte Thomas Wagner, „und dieser Qualitätsanspruch kostet Geld“. Sowohl die hohe Qualität der Arbeit des Kreisjugendamtes als auch die damit verbundenen hohen Kosten werde die Gemeindeprüfungsanstalt (GPA) bestätigen, die zur Zeit noch in der wirtschaftlichen Prüfung des Kreisjugendamtes ist.

„Steuernde Controllingsinstrumente, die uns zur Verfügung stehen, bedienen wir, um neben einem hohen Qualitätsstandard auch einen hohe Wirtschaftlichkeit zu erzielen“, sagte die Leiterin des Kreisjugendamtes, Ulla Schrödl. Leider hindere aber auch das nicht, dass die Ausgaben im Bereich der Jugendhilfe dennoch steigen.